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irina

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Sonntag, 12. März 2006, 22:41

Der Sakrileg-Prozess

Zitat

"Sakrileg"-Prozeß. Dicke Luft bei den Gralssuchern
Von Gina Thomas, London

12. März 2006 An die Tür der Tempel-Kirche nahe der Fleet Street ist der Hinweis geheftet, daß Robin Griffith-Jones regelmäßig Vorträge über Dan Browns „Sakrileg” hält. Der anglikanische Geistliche mit dem illustren Titel „Meister des Tempel”, entwirrt jeden Freitag Mittag für Touristen auf den Spuren des Thrillers Tatsachen und Erfindungen über seine Kirche. Im zwölften Jahrhundert nach dem Vorbild der Rundkirche des Heiligen Grabes in Jerusalem erbaut, als Hauptquartier der Tempelritter, gehört sie zu den Stationen, die der Symbolkenner Robert Langdon, die Kryptologin Sophie Neveu und der durchtriebene Gralshistoriker Sir Leigh Teabing aufsuchen, um das Rätsel im Kern der Handlung zu lösen.

Nur einen kurzen Fußweg durch die kleinen Gassen des alten London entfernt, stehen sich im neugotischen Königlichen Gericht zwei hochangesehene britische Anwälte des geistigen Urheberrechts gegenüber und versuchen dem Richter, der sich kokett als „simple nordenglische Seele” bezeichnet, plausibel zu machen, daß Dan Brown die Ideen für „Sakrileg” von dem 1982 erschienenen Buch „Der Heilige Gral und seine Erben” abgekupfert hat - oder eben nicht, wie John Baldwin, der Anwalt von Browns Verlag Random House eisern vertritt. Wie Robert Langdon im „Sakrileg” stellt sich die Verteidung auf den Standpunkt, daß Brown nicht eigene Ideen vertritt, sondern auf Theorien zurückgriff hat, die seit langem im Umlauf sind. Hier gilt es zu klären, ob es sich um die fiktive Verarbeitung von originellen Forschungen handelt, die ein „Maß an Arbeitsaufwand, Fachkönnen und Urteilsvermögen” aufweisen.

Juristen wie Figuren einer Daumier-Karikatur

Gerichtssaal Nummer 61 ist ein funktionaler Raum im zehnten Stock eines Anbaus der siebziger Jahre, dem man mit billigem Holz potemkisch einige historische Akzente gegeben hat: Neugotik im Ikea-Stil. Aber manche Wortwechsel sind mit der ironisch-süffisanten Ausprägung, die britische Juristen bei ihren Gerichtsauftritten pflegen, durchaus filmreif, auch wenn es hier um derart komplexe Feinheiten geht, daß das ganze Verfahren mitunter einen Schlag ins Absurde zu bekommen scheint. Und die Juristen selbst wirken mit den kratzigen, silbergrauen Perücken und schwarzen Roben wie Figuren einer Daumier-Karikatur, was den absonderlichen Charakter des Geschehens noch erhöht. Hinzu kommt die frappante Gegensätzlichkeit der Protagonisten.

Da sitzt, rechts auf der Bank vor dem Richter, der amerikanische Bestsellerautor Dan Brown, umgeben von hohen Angestellten des Hauses Random, die ihn abschirmen wie ein Panzergeschütz. Eine kleine, fast puppenhafte Figur mit mit rotblondem, einer Plastikperücke ähnelndem Haar, die lauscht, ohne je die Miene zu verziehen. Einige Plätze weiter links von ihm sitzen die Kläger, Michael Baigent und Richard Leigh, zwei der drei Mitverfasser von „Der Heilige Gral und seine Erben”. Der dritte, Henry Lincoln, ein Fernsehdrehbuchautor, auf dessen Begeisterung für den vermeintlichen Schatz von Rennes-le Chateau die höchst spekulative Spurensuche überhaupt zurückgeht, hat sich an diesem Prozeß nicht beteiligt, aus guten Gründen, wie der Verlauf der letzten zwei Wochen vermuten läßt.

Plündern und verbreiten

Fast vier Tage lang saß Michael Baigent, ein gebürtiger Neuseeländer, der seit dreißig Jahren in London lebt und sich von Kind auf für Geheimlehren interessiert, im Zeugenstand und windete sich, während die Verteidiging seine dicke Klageschrift Punkt für Punkt zerpflückte, so daß man sich fragen mußte, was davon übrigblieb.

Baigent übernahm bei der Erstellung von „Der Heilige Gral und seine Erben”, die Funktion des Rechercheurs, während sein Mitkläger, der Romancier Richard Leigh, den Text lieferte. Die beiden behaupten, Brown habe ihr Urheberrecht verletzt, indem er die Früchte ihrer bahnbrechenden, über fünf Jahre sich erstreckenden Forschungen über Tempelritter und Gralslegenden, über den Stammbaum Jesu und den Kult des Weiblichen im Christentum, über die Merowinger und die geheime Bruderschaft der Prieure de Sion plünderte und in der Form eines Thrillers verbreitete.

Fünfzehn "zentrale Themen"


Die Kläger haben fünfzehn „zentrale Themen” namhaft gemacht, die Brown von ihnen übernommen habe, darunter die Idee, daß Jesus mit Maria Magdalena verheiratet gewesen und ein oder mehrere Kinder mit ihr gehabt habe, deren Nachkommen, von den Tempelrittern geschützt, noch heute in Frankreich leben - schließlich auch die Vorstellung, daß der Heilige Gral nicht ein Kelch, sondern Maria Magdalenas Mutterleib sei, der die „Blutline” getragen habe, daran anschließend die Annahme einer dynastischen Verbindung zwischen dem Geschlecht Jesu und den Merowingern.

„Erstaunlicherweise hat Mr. Brown genau dieselben historischen Spekulationen angestellt, die wir in ,Der Heilige Gral und seine Erben' ausgedacht hatten.” Und ein ums andere Mal versucht John Baldwin, der die Klageschrift wie mit einem Skalpell seziert, nicht nur die Unterschiede zwischen den beiden Büchern nachzuwiesen, sondern auch die Unglaubwürdigkeit des Zeugen bloßzustellen. Das silbergrau gefaßte Vogelgesicht Baigents wird von Stunde zu Stunde fahler. Immer wieder muß er eingestehen, daß er seine Vorwürfe gegen die Beklagten unglücklich formuliert habe, bis der Anwalt fragt, ob „unglücklich” bloß ein anderes Wort für falsch sei.

"Es ist da, auf Seite 81!"

Manchmal vergehen Minuten, bevor Baigent Antwort gibt, während alles betreten schweigt. Je mehr er ins Schleudern gerät, desto beharrlicher setzt ihn Baldwin unter Druck. Und nicht selten hakt auch der Richter nach, eine rundliche Gestalt mit schmalen, funkelnden Augen und einem fülligen schwarzen Schnauzbart, der den Mund ganz bedeckt. Während der Anwaltsduelle liest er in den verzettelten Büchern, aus denen ständig zitiert wird, markiert hier eine Passage und fixiert dort die Redner mit flatternden Augenlidern, derweil er mit den Fingen durch den Schnurrbart fährt oder an seinem Stift kaut.

Peter Smith ist alles andere als eine schlichte nordenglische Seele. In seinen messerscharfen Einwürfen verbindet er die Leidenschaft des Amateurhistorikers mit einer Vorliebe für sarkastische Pointen. Und wie Sherlock Holmes scheint er den anderen immer einen Schritt voraus zu sein. Wenn er, seine Freude kaum im Zaun haltend, Baigent auf eine Stelle über die Tempelritter hinweisen kann, die der Autor in seinem eigenen Buch vergeblich gesucht hat: „Es ist da, auf Seite 81!” Oder wenn er zur allgemeinen Verblüffung auf die Lage im Jahr 1187 zu sprechen kommt: „Der Verlust des Königreichs Jerusalem wegen des dummen Großmeisters der Tempelritter.”

Datumsfehler und Forscherstolz

Wie ein gescholtener Schuljunge blickt Baigent zum Richter hinüber, als dieser am Ende eines haarspalterischen Disputs über die Ehe von Jesus unverblümt fragt: Wenn von seinem Argument nur bleibe, daß Jesus ein Jude und verheiratet war, wolle er dann tatsächlich behaupten, dies könne nur von ihm stammen? Der Richter, der sich, wie dem „Who's Who” zu entnehmen ist, leidenschaftlich für das Schicksal der Titanic interessiert und Militärgeschichte als Freizeitvergnügen angibt, läßt keine Gelegenheit aus, um an den Tag zu legen, wie genau er den Stoff beherrscht. An einer Stelle wies er auf eine Diskrepanz zwischen „Sakrileg” und dem Gralsroman hin.

Baigent erklärte sie mit einem „eklatanten Fehler”, der Brown unterlaufen sei. Im Roman wird die Gründung der Prieure de Sion im Jahr 1099 in die Herrschaft Balduins II. gelegt, während des zweiten Kreuzeuges. Balduin aber bestieg den Thron erst im Jahr 1118 und die Ordensgründung fiel, sofern sie überhaupt stattfand, in die Zeit des ersten Kreuzzeuges. „Den Fehler kann Brown bestimmt nicht von Ihnen übernommen haben, weil Sie einen solchen Datumsfehler nicht gemacht hätten”. Baigent stimmte ihm emphatisch zu, ohne zu merken, daß er sich mit seinem Forscherstolz selber eine Falle gestellt hatte.

"Er lag auf seinem Totenbett"

Mit dem zweiten Zeugen, Richard Leigh, hatte es die Verteidigung weniger leicht. Da biß John Baldwin auch geklegentlich auf Granit, zumal mit der Frage, ob der Kläger sich in einigen Fällen nicht selber auch des Plagiats schuldig gemacht habe, in dem er bei anderen abschrieb. Unverdrossen verkündete Leigh, er habe keine Hemmungen, bestimmte Ausdrucksweisen zu übernehmen, wenn sie ihm besonders gelungen erschienen, das mache ihn noch lange nicht zum Plagiator, schließlich gäbe es Sachverhalte, wie „er lag auf seinem Totenbett”, für die es naturgemäß nur wenig Varianten gebe.

Von dem kuriosen Amerikaner mit dem chinesischen Bart, den grauen Sechziger-Jahre-Koteletten und langem kastanienfarbenem Haar hatten sich die Beobachter wenig versprochen. Er saß während der Vernehmung seines Mitautors über den Tisch gebeugt, den Kopf bisweilen auf den Händen ruhend und wirkte mit seinen dunklen Brillen wie ein ausgelaugter Rocker. Im Zeugenstand aber zeigte er sich überaus angriffslustig und wortgewandt. Zur Erheiterung des Publikums fragte er seinen Inquisitor, der schon beim Kreuzverhör Baigents zwischen „Mr.” und dem Nachnamen eine zögernde Pause eingelegt hatte, als wolle er durch den den vermeinlichen Lapsus seine Nichtachtung des Zeugen zur Kenntnis geben, warum er seinen Namen dauernd vergesse. Ob das Taktik sei? Auf diese Weise schien Leigh Punkte zu machen.

Wer solches Lob bekommt, der braucht keine Kritik

Zu Beginn der Verhandlung hatte der Richter gefragt, was die Kläger beabsichtigten: Wollten sie den Film nach Dan Browns Buch aufhalten, der im Mai anlaufen soll, wollten sie Millionen von Büchern eingestampft sehen oder ging es ihnen ums Geld? Am Ende von Leighs Kreuzverhör stellte er ihn zur Rede: Warum reiche ihm der Hinweis, den Brown auf Seite 339 der englischen Taschenbuchausgabe des „Da Vinci Code” auf „Der Heilige Gral und seine Erben” macht, nicht aus? Dort läßt Brown Leigh Teabing, dessen Name - eine Verschmelzung von Leigh und einem Anagramm von Baigent - wiederum als Huldigung an die Kläger zu verstehen sein könnte, von dem „internationalen Erfolgsroman” sprechen, der die Idee der Nachkommenschaft Christi in Umlauf gebracht habe. Richard Leigh sagte, ihm scheine die Erwähnung herablassend; nach der Devise: Wer solchen Lob bekommt, der braucht keine Kritik.

Das erklärte nun der Richter damit, daß Teabing eine herablassende Figur sei. Leigh mußte gestehen, daß es womöglich nie zum Prozess gekommen wäre, wenn Brown ihn und seine Mitautoren mit einer angemessenen Danksagung gewürdigt hätte, wie es bei der Nennung von Quellen üblich sei. In diesem Austausch zwischen Leigh und dem Richter verfestigte sich der Eindruck, daß den Klägern, neben allen materiellen Überlegungen, die im Speil sein dürften, vor allem nicht behagt, daß ihr Material sich in einem Roman wiederfindet, von dem Salman Rushdie sagte, er sei so schlecht, daß schlechte Bücher daneben gut wirkten. Wenn alles nach Plan läuft, wird am heutgen Montag Dan Brown selber in den Zeugenstand treten. Erst dann wird man sich ein klareres Bild vom möglichen Ausgang dieses seltsamen Verfahrens machen können.

Quelle: FAZ


die klagenden autoren sollten sich echt mal überlegen, ob sie weiter darauf pochen wollen, seinerzeit ein wissenschaftliches buch auf den markt geworfen zu haben. dann darf man sich nämlich durchaus bei quellennennung auf wissenschaftliche fakten stützen, ohne des plagiatvorwurfs bezichtigt zu werden. ich weiß nicht, ob es ihnen und ihrem buch gut tun und gefallen würde, in den bereich der fiktion verbannt zu werden! ;)
»Alles, was Spaß macht, ist entweder unmoralisch, illegal oder macht dick. In besonders spaßigen Fällen alles auf einmal.« (Mae West)

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Montag, 13. März 2006, 14:35

Tja, der Reiz des großen Geldes verleitet eben auch Akademiker...

Danke für den Artikel, der ist ja Klasse!