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Montag, 27. Februar 2006, 20:08

Agatha Christie - Bertrams Hotel (der hörverlag)

Agatha Christie – Bertrams Hotel

[isbn]3899407091[/isbn]
(Cover weicht von der Abbildung ab; handelsübliche Ausführung: siehe Anhang)

gekürzte Lesung
der hörverlag, 2005
3 CDs, ca. 219 Minuten

Sprecherin: Beate Himmelstoß
Regie: Toni Nirschl

Inhalt

Miss Marple gönnt sich ein paar Tage in London. Zu diesem Zweck mietet sie sich in „Bertrams Hotel“ ein, in dem sie bereits als Mädchen einige Zeit gelebt hat. Zwar ist diese Unterkunft nicht gerade billig, aber die Besitzer scheinen großen Wert darauf zu legen, daß hier alles an eine Zeit erinnert, die schon lange nicht mehr existiert, so daß reiche amerikanische Touristen, Angehörige des britischen Adels, kirchliche Würdenträger oder eben Nostalgiker wie Miss Marple sich wohlfühlen können. Die Hobbydetektivin hat trotzdem ein ungutes Gefühl, das sich noch steigert, als einer der Gäste, der zerstreute Kanonikus Pennyfather, plötzlich verschwindet.
Chief Inspector Fred Davy bittet Miss Marple um Hilfe, als der Geistliche in der Nacht seines Verschwindens bei einem Überfall auf einen Zug beobachtet wird. Einige Bewohner von Bertrams Hotel scheinen über dieses Verbrechen mehr zu wissen, als sie zugeben …

Meinung

Eins vorweg: wer einen lupenreinen Miss Marple-Krimi erwartet, wird von „Bertrams Hotel“ enttäuscht sein. Zwar bittet die Polizei die alte Dame um Hilfe, natürlich liefert sie dank ihrer Beobachtungsgabe einige hilfreiche Stichworte, einerseits befindet sie sich allerdings nicht in ihrem Heimatdorf und kann daher nicht auf die üblichen Informationsquellen zurückgreifen und andererseits ist der Ermittler, Chief Inspector Davy, trotz vorhandener Geistesgaben auch kein Picasso der Kommunikation, was dazu führt, daß Miss Marple in diesem Fall nur die Rolle einer Zeugin spielen darf.
„Bertrams Hotel“ erschien kurz vor Agatha Christies 75. Geburtstag im Jahr 1965. Mag sein, daß dieser Umstand ein wenig dazu beitrug, daß dieses sonderbare Hotel entstand. Blanke Nostalgie schlägt dem Leser bzw. Hörer entgegen, für die Auswüchse moderner Zeiten hat Christie oft nur herablassende und damit mittlerweile unfreiwillig komische Worte übrig. Die deutlichen Teile dieser Kritik fielen zwar bei der gekürzten Lesefassung unter den Tisch, allerdings sind sie immer noch deutlich zu spüren.
Eingehüllt in diesen dicken Nostalgie-Mantel spielt sich ein Fall ab, der ebenso vielschichtig wie belanglos ist. Man hat manchmal das Gefühl, daß es hier nicht darum geht, ein paar Verbrecher dingfest zu machen, sondern eher um ein Kräftemessen zwischen dem gesetzten Alter (repräsentiert durch Miss Marple und Davy, der den Spitznamen „Father“ verpaßt bekommt) und der ungestümen Jugend. Das zeigt sich auch beim Handwerk – wer schon mit einigen Krimis von Agatha Christie vertraut ist, wird keine Schwierigkeiten haben, bereits nach dem ersten Drittel des Hörbuchs zu erraten, worauf der Rest des Romans hinausläuft. Allerdings ist die Auflösung diesmal besonders enttäuschend, da selbst nach der Erklärung Davys noch viele lose Enden in der Handlung herumliegen und in einigen Fällen noch nicht mal erklärt wird, weshalb zwei Enden doch zusammenpassen, obwohl man das die ganze Zeit ausgeschlossen hat. Absolut kein Meisterwerk aus dem Hause Christie. Vielleicht als kleiner Snack für Zwischendurch geeignet, aber keinesfalls das große Tennis, das man in vielen anderen Büchern von ihr geboten bekommt.

Klar – wenn schon die Vorlage nicht besonders ist, hat es auch ein Sprecher schwer. Beate Himmelstoß kann bereits auf einen Miss Marple-Fall verweisen – sie las 2003 die hörverlag-Umsetzung von „16 Uhr 50 ab Paddington“. War sie bei dieser Lesung gut? Na ja, geht so. Ist sie bei der jetzigen Lesung besser? Na ja, geht so.
Positiv ist, daß sie versucht, jedem Charakter durch besondere Sprechweise eine persönliche Note zu verpassen. Im Prinzip eine gute Idee, allerdings fiel die Wahl nicht immer glücklich aus. So zeichnet sich „Father“ Davy durch. eine. besonders. langsame. Sprechweise. aus. desgleichen. auch. Kanonikus. Pennyfather. Bei. Dialogen. der. beiden. wünscht. man. sich. eine. Taste. zum. Vorspulen. Auch Miss Marple wirkt nicht überzeugend – abgeklärt und forsch poltert die Sprecherin durch diesen Part, selbst wenn es überhaupt nicht zur Situation oder zum sonstigen Verhalten der höflich-zurückhaltenden Dame paßt.
Bei den übrigen Stimmen und Erzählpassagen beweist Beate Himmelstoß schon mehr Einfühlungsvermögen, sie liest passabel, wenn sie sich auch nicht durch Glanztaten hervortut.

Fazit

Kein herausragender Fall von Agatha Christie, keine herausragende Leistung von Sprecherin Beate Himmelstoß – das macht unter’m Strich kein herausragendes Hörbuch. Nicht das schlechteste der Reihe, aber eben auch nix Besonderes. Für einen locker-entspannten Krimi-Nachmittag durchaus zu empfehlen, bei dem man keine Lust hat, viel mitzudenken und es einfach mal gemütlich angehen lassen will - hier muß man nicht auf jedes einzelne Wort und jedes ermittelte Alibi achten, um den Täter zu finden, große Action hat auch eine andere Hausnummer, die Fäden hält man auch problemlos in der Hand, selbst wenn am Ende nicht alle einen Sinn ergeben – und die Lösung … ach ja, wer braucht schon vernünftige Argumente … machen einem nur den entspannten Krimi-Nachmittag kaputt …

Ergebnis

mit zugedrücktem Auge gerade noch Durchschnitt



Anmerkung

Es soll nur der Vollständigkeit erwähnt werden, daß mit diesem Hörbuch und dem parallel erschienenen „Sie kamen aus Bagdad“ das optische Design der Serie verändert wurde. Der ursprünglich schwarz-weiß-rote Standard verschwand und machte einem größtenteils schwarzen Cover mit einer knalligen Farbe und schwarzem scherenschnitt-artigem Motiv Platz. Die Cover der bisherigen Serie werden derzeit entsprechend überarbeitet. Für die Leute, die Teile der bisherigen Serie haben, natürlich ein krasser Bruch.
Eine weitere Veränderung nahm man am Inhalt vor: die Miss-Marple-Melodie, die bislang nach der Ansage zu hören war, ließ man erstmals unter dem Tisch fallen. Und das ausgerechnet bei einem Miss-Marple-Fall … ts!
»Skywise« hat folgende Datei angehängt:
  • 4134Bertram.jpg (8,69 kB - 45 mal heruntergeladen - zuletzt: 30. April 2009, 23:11)
Radio Liederlicht
Liedermacher & Co.


Mittwoch.
Skywise: "Ja klar ist der Laden super und so, aber ich mach' da trotzdem einen Bogen drum, denn allein für's Umschauen muß man da schon den großen Geldbeutel dabei haben."
Kollegin: "Ach was, das geht auch ohne. Mit EC-Karte zum Beispiel."

2

Dienstag, 28. Februar 2006, 01:32

Hallo Skywise,

danke für die Rezi! Meine Beurteilung würde allerdings etwas anders ausfallen. Die Sprecherin gehört innerhalb der gesamten Reihe eindeutig zu den besseren, ebenso bei der Paddington-Folge.

Andere Sprecher der Reihe (ohne daß ich jetzt die Namen aufzählen könnte), sind zum Teil völlig unerträglich. So z.B. auch in der „Sie kamen aus Bagdad“-Folge. Wie kann man eine Frau mit Pieps-Stimme Männerstimmen lesen lassen? Da muß wenigstens ein Alt her.

Die Story ist nicht genial, aber eigentlich ganz gemütlich, was natürlich Geschmackssache ist.

Ich frage mich insgesamt, warum man für einen wirklich interessanten Stoff wie die Agatha Christie-Romane nicht ein paar anständige Sprecher aussuchen konnte?
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3

Dienstag, 28. Februar 2006, 02:21

Zitat

Original von Bruze
Andere Sprecher der Reihe (ohne daß ich jetzt die Namen aufzählen könnte), sind zum Teil völlig unerträglich. So z.B. auch in der „Sie kamen aus Bagdad“-Folge. Wie kann man eine Frau mit Pieps-Stimme Männerstimmen lesen lassen? Da muß wenigstens ein Alt her.

Die Folge liegt hier, aber noch größtenteils ungehört. Ich habe mir die ersten 20 Minuten angetan, plötzlich war da dieser Eindruck, in einen schlechten James-Bond-Abklatsch zu geraten und darauf hatte ich gerade so gar keine Lust :D

Was andere Sprecher der Reihe angeht, muß ich Dir Recht geben - da gab's schon weit schlimmere, auch solche, bei denen ich mich gefragt habe, ob sie trotz des etwas niedrigeren Anspruchs überhaupt begriffen haben, was sie da gerade vorlesen. Dagegen ist Beate Himmelstoß Gold wert, keine Frage. Allerdings gibt es auch richtig starke Sprecher - und an die reicht Beate Himmelstoß meiner Ansicht nach einfach nicht ran. Bei "16 Uhr 50 ab Paddington" hatte sie noch den Vorteil, daß eine starke Vorlage für Rückenwind gesorgt hat - trotzdem hatte ich sowohl bei "Paddington" als auch bei "Bertram" das Gefühl, daß sie noch eine Schippe drauflegen könnte, wenn sie denn nur wollte ...

Zitat

Die Story ist nicht genial, aber eigentlich ganz gemütlich, was natürlich Geschmackssache ist.

Ich frage mich insgesamt, warum man für einen wirklich interessanten Stoff wie die Agatha Christie-Romane nicht ein paar anständige Sprecher aussuchen konnte?

Macht man ja. Nur nicht durchgängig. Das macht vielleicht auch irgendwie ein wenig den Reiz dieser Serie aus ... man weiß nie, wie schlecht der nächste Sprecher wird :D

Die nächsten Folgen erscheinen im März:
"Das Sterben in Wychwood" (Peter Kaempfe, Regie: Sven Stricker)
"Der Schritt ins Leere" (Konstantin Graudus, Regie: Sven Stricker)
"Lauter reizende alte Damen" (Stefan Schad, Regie: Sven Stricker)

Ich freue mich vor allem auf "Der Schritt ins Leere", denn Konstantin Graudus kann ich mir als Bobby richtig gut vorstellen :] Peter Kaempfe hat bereits den "letzten Joker" gelesen - den besitze ich zwar, hab' ihn aber noch nicht gehört, deshalb kann ich noch nix dazu sagen. Stefan Schad sagt mir jetzt als Sprecher nix. Ich weiß zwar, daß er am Hamburger Thalia-Theater arbeitet (oder gearbeitet hat) und gemeinsam mit einem Pianisten hin und wieder Liederabende mit Stücken von Georg Kreisler veranstaltet, aber das heißt noch lange nicht, daß er auch als Vorleser etwas taugt ... es bleibt also spannend :D

Gruß
Skywise

- edit -
Korrektur: Den "letzten Joker" kenn' ich doch ... hab' gerade mal reingehört und bei der Geschichte mit den Weckern wußte ich sofort wieder Bescheid :D Spitzen-Sprecher :]
Radio Liederlicht
Liedermacher & Co.


Mittwoch.
Skywise: "Ja klar ist der Laden super und so, aber ich mach' da trotzdem einen Bogen drum, denn allein für's Umschauen muß man da schon den großen Geldbeutel dabei haben."
Kollegin: "Ach was, das geht auch ohne. Mit EC-Karte zum Beispiel."