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Montag, 26. September 2005, 14:18

Die Gehirnpiloten

Nur mit Gedankenkraft Fußballtore schießen? Klingt abenteuerlich, ist es aber nicht. Neurofeedback heißt die Methode, mit der ADHS-Kinder ihre Gehirnströme gezielt lenken und die Konzentration auf Trab bringen


Verkabelte Elektroden kleben auf Stirn, Wangen und Kopf, an den Ohren klemmen Metallclips und Maura lehnt entspannt im blauen Cockpitsessel. Sport steht heute auf dem Stundenplan, Fußball. "Bist du bereit?", fragt ihr Trainer. "Ja", sagt Maura. "Okay, 3-2-1... los geht's!" Das gelbe Rund kommt von links über die Mattscheibe geflogen, hoch, hoch, hooooch, denkt Maura, jetzt runter, ruuuunter, und der Ball tut genau, was sie denkt. Maura selbst bewegt sich keinen Zentimeter, sie rennt nicht, sie schießt nicht, sie hat auch keine Maus oder Joystick. Nur mit der Kraft ihrer Gedanken kickt sie den Ball über den Monitor. Maura ist auch nicht auf dem Spielplatz, sondern im Labor der Universität Tübingen. "Verrätst du mir deine Strategie, mit der du den Ball nach oben oder unter schießt?", fragt ihr Trainer. "Hmmm", überlegt die Achtjährige und grinst, "ich stell mir vor, dass ich Achterbahn fahre. Und wenn der Ball nach unten soll, liege ich in der Hängematte und lese."

Wilde Gehirnströme
Was eher nach Sciencefiction klingt, heißt Neurofeedback - eine Methode, die seit vielen Jahren in den USA angewendet wird - bei Epilepsie, Migräne, Schlafstörungen und auch bei Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperativitätssyndrom (ADHS). Durch Training sollen ADHS-Kinder Ordnung in die wilden Gehirnströme bringen und sie mit dem Willen gezielt lenken lernen. "Das Ziel ist, mehr Selbstkontrolle zu erlernen und die Konzentration zu steigern", erklärt Ulrike Leins, Psychologin an der Universität Tübingen, im Netdoktor-Gespräch.

Denn genau damit tun sich ADHS-Kinder schwer. Sie sind kleine energetische Bündel, die den Alltag ins Chaos verwandeln, andere sind verträumt und versunken in die eigene Welt, manche sind beides gleichzeitig. Meist können sie sich schlecht konzentrieren, lösen Aufgaben im Schneckentempo und ohne jegliches System und lassen sich durch alles mögliche ablenken. Betroffen seien etwa fünf bis sechs Prozent aller Kinder in Deutschland, schätzt die Arbeitsgemeinschaft ADHS der Kinder- und Jugendärzte.

Wellenreiten im Kopf
Biofeedback macht bestimmte Körperfunktionen wahrnehmbar, die normalerweise im Unterbewusstsein ablaufen. Dazu gehören beispielsweise Herzfrequenz, Durchblutung oder die Muskelspannung. Neurofeedback ist eine Variante dieser Methode (EEG-Biofeedback). Die elektrische Aktivität des Gehirns wird über Elektroden abgeleitet, verstärkt und in Form von Kurven aufgezeichnet (EEG). Die Daten werden in einen Computer eingespeist und optisch bzw. akustisch rückgemeldet (Feedback), beispielsweise durch einen Fußball auf dem Monitor. Maura, eine gesnunde Testperson, sieht auf dem Bildschirm, was ihr Gehirn treibt und ob es tut, was sie will - sie kann ihm praktisch beim Denken zuschauen.

Für unterschiedliche Bewusstseinszustände sind verschiedene Hirnstromfrequenzen zuständig, das heißt sie überwiegen bei entsprechender Aktivität. Wer sich bewusst konzentriert, aktiviert beispielsweise die Beta-Wellen (15-21 Hertz), beim Wachträumen sind vor allem Alpha-Wellen vorhanden (8-12 Hertz), bei innerer Unruhe Theta-Wellen (4.7 Hertz) und im Tiefschlaf Delta-Wellen (1-3 Hertz). "ADHS-Kinder zeigen Auffälligkeiten im EEG", sagt Leins, "sie produzieren verstärkt Theta-, aber wenig Beta-Wellen."

Auch bei den so genannten Langsamen Kortikalen Potentialen (Slow Cortical Potentials, SCPs) stellten die Forscher Veränderungen fest. Sie sind ein Maß, wie erregbar die Nervenzellen bestimmter Gehirnregionen sind. Negative SCPs stehen für hohe Erregbarkeit, positive SCPs für geringe Aktivität oder sogar Hemmung. ADHS-Kinder können lernen, die langsamen Potenziale bewusst in die negative Richtung zu verschieben, also das Gehirn zu aktivieren.

Gezieltes Training soll gewünschte Hirnstromfrequenzen verstärken (Beta-Wellen) und unerwünschte abschwächen (Theta-Wellen). Nur die gewollten Frequenzen werden spielerisch belohnt und das Gehirn lernt nach und nach, die "heilsamen" Frequenzen zu produzieren. Der Computer meldet zurück, ob sich die Gehirnströme in die gewünschte Richtung bewegen (= Feedback), ob also die Kinder "richtig" denken. Wenn Maura ihr Gehirn auf Touren bringen soll, leuchtet oben auf dem Bildschirm ein Balken auf und es gilt, den Ball nach oben zu kicken. Umgekehrt funktioniert es, wenn das Gehirn langsam werden soll. Ein lachendes Gesicht erscheint als Belohnung, wenn sie alles richtig gemacht hat. "Es muss etwas geben, was die Gehirnaktivität rückmeldet", erklärt die Psychologin. Dies könnte ein Flugzeug, Fisch oder ein Film sein, der nur weiterläuft, wenn die Kinder richtig denken.

Sie verwenden unterschiedliche Strategien, um die Gehirnströme rauf- oder runterzukurbeln. Es gibt nicht "die eine" Methode, sondern jedes Kind muss über Versuch und Irrtum die passende Strategie finden. "Die Kinder benutzen abstrakte Vorstellungen und Bilder", erklärt Leins. Die meisten denken an was Aufregendes, um ihr Gehirn aufzuwecken und den Ball nach oben zu bewegen, entspannende Gedanken bewirken das Gegenteil und lassen den Ball plumpsen. Das kann ein Sprung vom Zehnmeter-Brett, schnelles Auto- oder Achterbahnfahren sein bzw. umgekehrt das warme, ruhige Meer oder die pure Langeweile.

Üben, üben ...
Dass das Neurofeedback-Training bei ADHS-Kindern funktioniert, hat Leins in einer Studie mit 47 Kindern gezeigt. In einer Gruppe untersuchten die Forscher den Einfluss des Gehirnjoggings auf die Theta-/Beta-Wellen, in der anderen auf die SCPs. Etwa 30 Stunden trainierten die Kinder, bis sie als Hirnpiloten fit waren. Danach, so das Ergebnis der Studie, konnten die Kinder beider Gruppen die Gehirnaktivität selbst kontrollieren, ADHS-Symtome wie Hyperaktivität oder Impulsivität waren reduziert, die Kinder schnitten bei Aufmerksamkeits- und Intelligenztests besser ab und die Effekte waren noch sechs Monate nach dem Ende des Trainings stabil. Auch andere Studien ergaben positive Effekte des Hirntrainings bei ADHS.

Wie lange die Wirkung anhalte, "darüber kann ich nur spekulieren", sagt Leins. Unklar sei, ob man das Training in bestimmten Abständen wiederholen müsse, oder das Gelernte auch Jahre danach noch im Kopf verankert sei. "Das Training", so die Expertin, "ist als Baustein einer AHDS-Therapie gedacht."

Wichtig ist, dass die Kinder die erlernten Strategien auch in alltäglichen Situationen anwenden, in denen sie bislang Schwierigkeiten hatten, beispielsweise in der Schule oder bei den Hausaufgaben. Vor dem Rechnen bringt Maura ihr Gehirn in Schwung und schießt gedanklich erstmal ein paar Tore. Kinder erklärten, dass sie sich besser konzentrieren können, weniger leicht abgelenkt sind und ihre Aufgaben zuende bringen. Ein Kind sagt es so: "Mein Gehirn fühlt sich an wie aufgerappelt."

Hinweis: Die Informationen dürfen auf keinen Fall als Ersatz für professionelle Beratung oder Behandlung durch ausgebildete und anerkannte Ärzte angesehen werden. Der Inhalt von NetDoktor.de kann und darf nicht verwendet werden, um eigenständig Diagnosen zu stellen oder Behandlungen anzufangen.

quelle: netdoktor
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