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Matze

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Freitag, 2. September 2005, 10:37

Porträt des Labels TTTT

Bereits seit 1981 ist Tom Täger an Produktionen mit Tom G. Liwa, Die Regierung, His Girl Friday, Die Sterne, MissFits, Sinti und Roma, Life-Mixe für Musicals an der Folkwangschule Essen, u.a. beteiligt. Mit großer Kompetenz und menschlicher Wärme betreut Tom Täger Behinderte und Bekloppte, sowie exzentrische Künstlerpersönlichkeiten.
1989 erscheint Helge Schneiders allererste Schallplatte "Seine größten Erfolge". Produziert von Helge Schneider und Tom Täger im Tonstudio/Ruhr.
Nach der Produktion von Helge Schneiders Hörspielen folgten Hörbuchproduktionen mit dem Barden und Minnesänger Ludmillus, der seit 1994 die Herzen seines Publikums mit trefflichster mittelalterlicher Musik und Unterhaltung erfreut. Der Barde reist mit seiner geliebten Cister “Nelly” und drei Hörbüchern im Gepäck, durch die Lande, auf dass dem einfachen Volke wie den Edelleuten in Nah und Fern die Augen und Ohren offen stehen bleiben.

1995 begann die Zusammenarbeit mit A.J. Weigoni, der sich seit langem mit Trivialmythen beschäftigt, die sich in Groschenheften, in der Schlagermusik, im Kino und in Fernsehserien manifestieren, und als Medienautor ist A. J. Weigoni ein Spieler, den die technischen Entwicklungen der Medien faszinieren, weil sie schier unendliche Möglichkeiten der Neuordnung von Formen und Zeichen eröffnen. Tom Täger hat gleichfalls ein Faible für Trivialmythen. Seine Arbeit als Musiker und Produzent im Tonstudio an der Ruhr lässt sich exemplarisch an der Produktion "RaumbredouilleReplica" darstellen. „Was heute noch wie ein Märchen klingt..." - so haben sich die Deutschen in den 60–er Jahren des 20. Jahrhunderts die Zukunft vorgestellt, als militärischen Staat, in dem die Akteure in einem Rhythmus reden, der sich als Vorläufer des Rap hören lässt. "Es gibt keine Nationalstaaten mehr, es gibt nur noch die Menschheit und ihre Kolonien."

Die RaumbredouilleReplica berücksichtigt die Anforderung des klassischen Sience-Fiction (Bedrohung der Erde, Rettung derselbigen) und ergänzt sie um Chiffren der Popkultur. Was für "Raumschiff Enterprise" zunächst die Klingonen, waren die Frogs für "Raumpatrouille Orion", der deutschen Science-Fiction-Serie mit Kultstatus und Heimwerkerappeal: Bügeleisen dienten dem hochtechnisierten Raumschiff als Schaltgeräte und brennende Tennisbälle flogen durch die wolkenlose Weite des Himmels. Legendär auch das Raumfahrerkasino, in dem nach geglückter Mission zukunftsweisend Rücken an Rücken getanzt wurde. Die neu aufbereitete Tonspur dieses Straßenfegers hält ein weiteres ungeahntes Abenteuer mit Wolfgang Völz, Claus Holm, Charlotte Kerr u.v.a. bereit. Wie meinte Dietmar Schönherr nach bestandenem Abenteuer: "Rücksturz zur Erde". Bei der Hörspielcollage RaumbredouilleReplica geht es in einer Invasion der Geistesgegenwart um alles: Die Bedrohung der Erde. Einen gesteuerten Schnellläufer. Eine Invasion und natürlich: Die Rettung der Erde. Selbstverständlich mit einem Humor, der Lichtjahre von der Spaßgesellschaft dieser Tage entfernt ist.

Bei einer Datensicherung von Tom Täger wurde der analoge Hörfilm »Das kleine Helferlein« digital restauriert. Wer nicht hysterisch über Kunst und neue Medien sprechen will, braucht nicht in einen naiven Realismus zu verfallen. Es gibt dazu eine Alternative, die nicht minder rational ist: die medienarchäologisch genaue Analyse jener Änderungen der Wirklichkeit, die sich auf dem Weg von den einstige Analogmedien wie Rundfunk oder Telefon zum Digitalmedium Computer ereignet haben. In der Rückschau auf die Elektrografie lassen sich diese Entwicklungslinien nachzeichnen. Mit dem Kopierer wurde in den 1990–ern die Textur der Elektronik erkundet und sich auf die Suche nach Bildern begeben, die man sich selbst nie hätte ausdenken können. Gerade aus Unfällen entstand vieles, was sich erst im Netz durchgesetzt hat. Nicht der Mensch ist kreativ, sondern die Fusion aus Mensch/Maschine findet wie von selbst ihre Bilder und ihre Sprache. Den Abschied vom Schöpfergenius haben Copy–Art–Künstler vorweg gedacht. Zum Kulturbegriff gehören seit dem 17. Jahrhundert die Beschäftigung mit sich neu entwickelnden Formen geselligen und ehrbaren Lebens. Es gilt Stagnationen zu vermeiden und Kooperationen zu ermöglichen. Man muss eine Kulturdebatte über Medien und Medienentwicklung führen, da bietet sich Literatur, Bildende Kunst oder auch alles, was multimedial stattfindet, natürlich an, weil sich die Künstler, auch über die spezifischen Fachgrenzen hinaus, gerade in den letzten zehn Jahren mit gesellschaftlichen Fragestellungen befasst haben. "Das kleine Helferlein" ist ein unterhaltsamer Hörfilm gegen den kulturellen Gedächtnisverlust.

Die Papier-Komposition zum Monodram »Unbehaust« handelt vom unermüdlichen Tägerschen Forschergeist, von der ewigen Suche nach unverbrauchten Ausdrucksformen. Der Mülheimer hat im Terrain der Musik stets die schwierigen, scheinbar unbegehbaren Routen oberhalb der Baumgrenze gewählt. Man glaubt beim Hören schrundiges Felsgestein unter den Füssen zu spüren. Erkaltete Lavablasen und schwarzes Geröll, scharfkantige Krater und gähnende Erdspalten; assoziiert Reliefstrukturen mit dem Rumoren der tiefen Blechbläser, fauchende Fumarolen mit tonlosen Anblasgeräuschen, und das hinter dem Steg gestrichene Cello erinnert an ein mineralisches Knirschen. Tägers Musik hat keinen illustrativen Charakter. Seine Klanglandschaften sind abstrakt und trotzdem von großer Bildhaftigkeit.

Während die Klangkomposition zu »Unbehaust« sehr puristisch mit der Rhythmik von Papiergeräuschen arbeitet, provoziert die Produktion »Señora Nada« (auf dem Hörbuch 1/4 Fund) mit einem stream–of–consciousness durch Inhalte, und nicht durch Dolby–Surround. Darin begleitet Tom Täger die Schauspielerin Marina Rother mit einer Musik der befreiten Melodien. Seine Komposition zu Señora Nada ist durchsetzt mit minimalistischen und improvisatorischen Erfahrungen, das Klangbild wird von experimentellen Klängen zu Trivialklängen in Bezug gesetzt.

In der Welt der Kratz– und Fauchgeräusche kennt er sich besser aus als andere. Und weil Täger sich nie zufrieden gibt mit dem, was er kann, entdeckt man in seinen jüngeren Werken einen verwandelten Ton, zum Beispiel in der Komposition zu »Blutrausch«. Darin finden sich die bewährten kompositorischen Strategien: Es gibt raffiniert ertüftelte Resonanzwege der Klänge vom elektronischen Klangerzeuger in den offenen Flügel, ein Scharrkonzert der subtilen Geräusche mit Stöckchen, die über die Kante einer Holzkiste gestrichen werden, und Riffelstäben, die Marimbazungen tremolieren lassen.
»Blutrausch«, das die "berühmte" Cranger-Kirmes als Handlungsort wählt. Jacqueline, die Hauptfigur ist die Manifestation eines 'Verbrechertypus', der erst durch die Globalisierung entstehen konnte: ein sich selbst entfremdeter Mensch, der in der Anonymität der Großstadt seine Psychopathien ausleben kann. Verstrickt in scheinbar durchschaubare Konflikte betritt sie die Bühne Cranger-Kirmes. Diese Figur, quasi als Untote, durchschaut die Zukunft der Menschen, die mit ihr, fast zufällig, über die Tatorte schlendern. Sie weiß um die Schicksale, die sie ihren Opfern beschert. Es gibt bei der Komposition zu »Blutrausch« unüberhörbare Verflüssigung des Klanggeschehens im Vergleich zu früheren Stücken, einen Schwung mit eloquent sprudelnden Tonfolgen, einen mitunter fast ins Linkshändige gewendeten Elan. Etwas Entfesseltes wirkt in diesem rasant dahingehenden neuen Stück. Tom Täger ist es gelungen dem Genre Schundliteratur eine ästhetische Dimension abzugewinnen, er gibt so der Sprache der Straße im 21. Jahrhundert eine künstlerische Form. Dafür wurde er mit dem Künstlerpreis "Das Hungertuch" ausgezeichnet. Diese Auszeichnung wird an Künstler verliehen, die mit experimentellem Pioniergeist im 21. Jahrhundert neues künstlerisches Terrain aufbrechen. Besonderem Interesse gilt bei diesem Künstlerpreis die Verschmelzung unterschiedlicher Genres wie Sprache, Sound, Installation, bewegte und eingefrorene Bilder.

Die Produktionen sind erhältlich über: info@tonstudio-an-der-ruhr.de

Weitere Infos zu »Das kleine Helferlein unter: http://urbons.de/
In der Bedeutung des Lehnworts aus dem Französischen, wo der "amateur d' art" den kenntnisreichen, enthusiastischen Liebhaber der Künste meint, bin ich ein Dilettant.