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irina

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Dienstag, 12. Juli 2005, 11:29

die welt in kinderbüchern

Zitat

Ferne Eltern

Überraschend einhellig bestätigten die Kinder kürzlich das Bild der traditionellen Institution Familie. Bei einer Studie des Deutschen Jugendinstituts gaben rund 98 Prozent der befragten Acht- und Neunjährigen an, sich in ihren Familien wohl zu fühlen. Die große Mehrheit wächst mit beiden leiblichen Eltern auf. Regelmäßige Leser von Kinder- und Jugendbüchern könnte das Ergebnis verblüfft haben. Denn das Bild der Familie, das sich in der aktuellen Literatur spiegelt, ist disparat: Überdurchschnittlich viele jungen Protagonisten - von Harry Potter bis zu den Geschwistern Baudelaire aus Lemony Snickets "Eine Reihe betrüblicher Ereignisse" - leben in zerrütteten Verhältnissen. Sind häufig auf sich allein gestellt und müssen versuchen, die Welt zu reparieren.

Wie ist die Diskrepanz zwischen der mehrheitlich positiv erlebten familiären Realität und der literarisch verarbeiteten zu bewerten? "Man darf Kinderliteratur nicht soziologisch interpretieren, denn diese ist nicht verpflichtet, ein repräsentatives Bild der Familie zu spiegeln", sagt Hans-Heino Ewers. Zwar gesteht der Direktor des Instituts für Jugendbuchforschung an der Frankfurter Goethe-Universität zu, daß es in der Kinder- und Jugendliteratur deutlich mehr Patchwork-Familien und Scheidungen gibt als in der Realität. Doch deutet er dies als Versuch der Autoren, den jungen Lesern "Erfahrungen der Modernität zu vermitteln."

Die Romanfiguren in vielen neueren Büchern müssen hart im Nehmen sein, und das gilt für realistische wie für fantastische Romane. Von einem Vater, der seine Familie mit Psychoterror und roher Gewalt in eine ausweglose Situation treibt, muß sich etwa das Mädchen Franky in Joyce Carol Oates' Jugendroman "Mit offenen Augen" emanzipieren. Jonathan Strouds Zauberlehrling Nathanael lebt bei seinem hartherzigen Meister, und es ist an dem dreisten Dschinn "Bartimäus" das Leben des Jungen vor intriganten Magiern zu schützen.

Vergleichsweise behütet wächst Sami, der kleine Held aus Mirjam Presslers "Wundertütentage" auf: Sami fühlt sich nach einem Umzug in neuer Umgebung sehr allein, zumal seine Mutter die Familie nach heftigem Streit (vorübergehend) verläßt. Das Auseinanderbrechen von Familien hat im Kinderbuch auch symbolische Bedeutung, denn es kann für vielfältige Gefährdungen von Kindheit stehen.

Auch wenn es angesichts von rund 5000 neuen Titeln jährlich manchmal schwerfällt, die Perlen aufzuspüren: Die qualitätvolle Kinder- und Jugendliteratur lebt; sie existiert neben harmloser Serienliteratur, süßlich-idyllischen Pferdebüchern und fantasielosen Fantasyromanen. Doch auch dieses Genre, das in der Gunst der jungen Leser nach wie vor weit oben rangiert, hat immer wieder die Kraft, sich zu erneuern, wie etwa Lian Hearns Japan-Trilogie "Der Clan der Otori" oder "Bartimäus - das Amulett von Samarkand" eindrucksvoll belegen. Von der realistischen Literatur unterscheidet sich Fantasy ohnehin oft bloß durch die Kulissen. Schließlich läßt sich die Harry-Potter-Saga auch als Entwicklungsroman lesen.

Junge Leser wollen ernst genommen werden. Es muß keiner zwangsläufig selbst Waise sein, um mit einem elternlosen Helden mitfühlen zu können. Oder an Magersucht leiden, um ein Buch zu diesem Thema mit Interesse zu lesen. Die Erweiterung des eigenen begrenzten Erfahrungshorizontes ist schließlich eine der nobelsten Aufgaben von Literatur. Wenn Kinder ein Buch aufschlagen, wollen sie, wie Studien zeigen, vor allem eins: abtauchen in eine andere Welt.
[Quelle: ]Die Welt
»Alles, was Spaß macht, ist entweder unmoralisch, illegal oder macht dick. In besonders spaßigen Fällen alles auf einmal.« (Mae West)