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Matze

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Dienstag, 15. Mai 2007, 12:17

»Ich-Zeichen« von Haimo Hieronymus ab dem 20. Mai im „Haus im Park“, Kunstverein Emmerich

Wenn die Möglichkeiten von Film und Fotografie es erlauben, das Antlitz des Menschen objektiv darzustellen, so könnte der Einfachheit behauptet werden, haben Zeichnung und Malerei ihre Funktion und damit ihre Aufgabe, vielleicht sogar Berechtigung verloren. Denn das wirkliche Aussehen des Menschen kann so gesehen nur die darzustellende Oberfläche sein. Dies erscheint allerdings zu kurz gegriffen. Der Mensch, sein Wesen, des Menschen Portrait ist mehr, gerade das Selbstporträt kann diese anderen Schichten sezieren.

Haimo Hieronymus treibt mit dieser Bild-Vorstellung ein vertracktes Spiel. Zwischen Selbst-Befragung und schwarzen Sarkasmus entlarvt er das äußere Bild als Schema, die Oberfläche der Haut als verletzbare Hülle des Eigentlichen. Hat ihn schon in seinen einfachen kleinen Zeichnungen nicht so sehr das Aus-Sehen interessiert, sondern eher das Herein-Sehen, die Selbstbefragung in ihrer Zeitläufigkeit, so bricht er jetzt Bahn eben dieses Ich-Sehen in Ich-Zeichen zu verwandeln. Sich einer Situation bedingungslos auszusetzen, nur mit Spiegel und Zeichenmaterial ausgerüstet, mit Naturfarben und Tusche, mit einer Kamera.

Im Raum steht ein Kubus, in den drei Dimensionen von jeweils zwei Metern, der Raum im Raum ist mit Leinwand bespannt, sowohl außen, als auch innen. Diese Leinwände bilden ein visuell unüberwindliches Hindernis zwischen Innen- und Außenwelt. Nur das Kabel der Kamera mit angeschlossener Projektion, von außen und innen sich überlagernde Geräusche, eventuell einige Schatten stellen die Verbindung her. Was passiert da drinnen, was passiert da draußen?

Sich einzuschließen und die Bilder fluten zu lassen, entnervt, legt die Nerven bloß. Es verbindet hier die Realität des Augenblicks mit der virtualen Realität der Projektion. Der Zuschauer bleibt auf sich geworfen vor der Leinwand zurück. Er weiß nicht, ist dies Übertragene nun wirklich Abbild des gerade Entstehenden oder Aufzeichnung einer anderen Aktion, er ist dem Blickwinkel, den Manipulationsmöglichkeiten der Kamera ausgesetzt, setzt auch er sich dieser Performance aus; erstes scheint durch die Geräusche im Leinwandkubus bestätigt zu werden, ist aber nicht gesichert. Der Rezipient sieht ein Bild entstehen, erwartet, muß Auf- und Umbruch erleben, sieht Erwartungen erfüllt und vielleicht auch unerwartete Wendungen. Hieronymus sucht in einer entgrenzten Kunst Grenzen in sich. Zurück bleibt nach der Performance ein Bildraum. Man kann diesen Bildraum betreten, die Welt da draußen vergessen, sich einfach auf die Situation einlassen, mit eigenen Bildern, den Gerüchen und dem leicht gedämpften Klang der Außen- und Innenwelt.

Im Zeitalter der kulturellen Globalisierung und Traditionsverschiebungen bleibt der Mensch als strauchelndes Wesen auf den Straßen der Zivilisationen zurück und sucht nach den Bruchstücken seiner selbst. Der allseits flexible Mensch des 21. Jahrhunderts in seiner Geworfenheit ist das Thema des bildenden Künstlers Haimo Hieronymus. In den entrücktesten Motiven glaubt man ein Déjà–vu längst verblasster Träume auftauchen zu sehen, etwas Irreales haftet diesen bald mehr ins Impressionistische, bald mehr ins Abstrakte gekippten Zeichnungen an. Die visuellen Störfelder sind den Drucken paradoxerweise als nahtlos infiltrierte, rein imaginäre Wirklichkeit eingeschrieben. Medial erweiterte Malerei zwischen inneren und äußeren Eingebungen, in der jede Homogenität von Raum oder Zeit in unzählige Erlebnispartikel zersprengt ist. Haimo Hieronymus definiert die Konturen und lasiert das Inkarnat als unmodulierte Flächen, die den Körperformen nicht folgen, sondern luftige, getrocknete Seen bilden, die das Papier an den Rändern sich kräuseln lassen. Die gezeichneten werden in transformatorische Sphären gehoben. Häufig wirken sie flüchtig, wenngleich manche Figuren fast nur aus Substanz, etwa Goldbronze, bestehen. Das transitorische Element, das seine Kunst durchzieht, macht sich bei der Präsentation bemerkbar. Etwas Improvisiertes lebt in der Syntax seiner Malerei, wir sehen das nicht, weil es sichtbar ist, es ist sichtbar, weil wir es sehen.

Ein Bild beschreiben heißt auch, es mit Schrift zu übermalen. Die Beschreibung übersetzt es in ein anderes Medium. Die Struktur des Textes ist: Ein Bild stellt das andere in Frage. Eine Schicht löscht die vorige jeweils aus, und die Optiken wechseln. Das gemalte Bild als körperlicher Gegenstand wird von Haimo Hieronymus völlig aufgehoben, es schwebt frei im Raum, verändert sich mit der Bewegung des Betrachters und wird vollkommen ortlos. Diese Grammatik des Sehens verweist darauf, daß es von Anfang an ein Anliegen der Malerei war, das Bild zu transzendieren, eine bildliche Autonomie jenseits des Abbildes zu schaffen. Einen Raum zu kreieren, der Pforten in eine andere Dimension öffnet, in eine Welt hinter Farbe, Faktur und Motiv. Farbe hat keine Eigenschaft der Gegenstände, sondern nur eine visuelle Erscheinung, die von der Oberflächenstruktur der Dinge in der Weise abhängt, ob diese einen bestimmten Teil des Wellenspektrums des Lichts zurückwerfen, der zudem noch von unserem Wahrnehmungsapparat mitbestimmt wird. Die Flächigkeit von Malerei kann anerkannt und thematisiert werden, sie kann aber auch als ein Hindernis gewertet werden. Erst durch seine erfolgreiche Überwindung kann ein Bild im Kopf des Betrachters entstehen. Künstlerhandschrift, Faktur, Textur. Es wird durch die Wahrnehmungsfähigkeit und Wahrnehmungswilligkeit des Betrachters ersetzt, wodurch dieser wiederum auf die Grammatik des Sehens verwiesen wird.

Haimo Hieronymus betätigt sich künstlerisch vielfältig in der Malerei wie der Collagenproduktion, er erstellt Objekte, Holzschnitte, Radierungen, Zeichnungen und publiziert Künstlerbücher. Den bekannten Formen und Motiven des Pop unterlegt der poetische Realist einen pessimistischen Grundton: Die kräftig–bunten Farben der strahlenden Konsumwelt der einstigen Pop–Artisten sind einem gebrochen Farbspektrum gewichen, ihr Auftrag zeigt sich bewusst unvollkommen, die Botschaften bleiben skeptisch. Mit kleinen, meist schwarz/weißen Collagen liefert der Künstler schwarze Satire, ohne das vordergründig Lächerliche nutzen zu müssen. Die Bildfragmente – assoziativ kommentiert durch Textfragmente – drehen sich teilweise derart ineinander, daß die Grundmotivik ins Hintertreffen gerät. Hat der Betrachter den unmittelbaren Text-Bildeindruck verarbeitet, konkretisieren sich die Motivkonglomerate und erkennbar werden scheinbar bekannte Bilderwelten, quasi Ikonen des Alltags. Allerweltsfotographien werden Auslöser privatester Kontroversen, da die verwendeten Motive zerlegt und neu synthetisiert werden. Haimo Hieronymus erhebt die hybride Formensprache des Fragmentarischen, Brüchigen, Uneinheitliche und Diskontinuierliche zum Gestaltungsprinzip und korrespondiert mit dem psychosozialen Profil des ungebundenen, flexiblen Menschen, dessen Lebensplanung mehr denn je dem “Würfelwurf” abhängt ist.

Das Bild ist Materie, kein Anschauungsmaterial. Material, das zerstört werden kann, um es neu zu fügen, andere Gedanken zu formulieren, neue Zusammenhänge zu erschließen. Haimo Hieronymus repräsentiert den Wert des Authentischen und differenziert klar nach dem, was anwesend und was anschaulich ist. Man erkennt die Schrift erst durch das Licht. Andererseits ist Licht, das nicht irgendetwas beleuchtet, gar nicht sichtbar. Unser Visualisierungssystem benutzt Linien, um die Dinge zu begrenzen und damit zu zeigen, daß sie da sind. Aber wenn das System nicht weiß, was etwas ist, dann kann es das auch nicht erkennen und dir sagen, was es ist. Der Tastsinn des Beschauers wird angeregt, um wieder negiert zu werden. Dabei entsteht kein Schock, sondern ein subtiler Dialog zwischen Bild und Betrachter, zwischen Materie und Fügung. Anstatt eines beliebigen Dekors der Geschwindigkeit entsteht eine leise Schwingung, eine Vibration in der Oberfläche von Bild und Text. Diese fügt das Bild zusammen, nicht Linien oder Linienkonstrukte für sich: Sie sind eingebunden in eine Gesamtabsicht der Komposition. Aufgelöste Flächen in beständigem Schwingen, im Gespräch und Streit mit den Lineaturen. Rasterstrukturen übersetzt der Maler in farbsatte Bilder. Die dabei verwendete Lackfarbe lässt den Blick an der Oberfläche abperlen wie Regentropfen auf einer Motorhaube.

Einen besonderen Raum in der Arbeit von Haimo Hieronymus nehmen die Künstlerbücher ein. In der Menschheitsgeschichte ging die Entwicklung der Technik stets mit der des Geistes einher. Man kann nur erahnen, welch große Auswirkung die neue Technik im Buchdruck auf die Gesamtkultur gehabt hat, insbesondere aber auf Literatur und bildender Kunst. Von der Kostbarkeit des geschriebenen Wortes und der Bücher haben die Menschen stets gewusst. Für die Buchtradition bedeutete das letzte Jahrhundert allerdings eine einschneidende Zäsur. Das Künstlerbuch hat es daher beim Betrachter schwerer als das Bild. Das liegt nicht zuletzt daran, daß man es aufschlagen muß und nicht an die Wand nageln kann.

Die Deck-Schutzblätter der Künstlerbücher von Haimo Hieronymus spiegelt den Inhalt wider. Der Leser, Betrachter kann so erahnen was zu erwarten ist. Ein Bild ist keine Illustration, es ist ein eigenständiger Informationsträger. Text und Bild ergeben ein sich gegenseitig unterstützendes Gefüge, bleiben trotzdem eigenständig verständlich. Genauso wenig, wie alle Schriftteile sofort ersichtlich sind, erscheinen die diffizilen Strukturen der Grafik auf den ersten Blick nicht lesbar, erst das nähere Betrachten, je eingehender, desto besser – legt geradezu schichtweise die Bild- und Textinformationen frei.

Der Betrachter muß sich den Sinn entschlüsseln, erschließen. Eine Allgemeingültigkeit ist immer fraglich, da alle Bilder zwar im selben Kontext stehen, jedes für sich jedoch seine Eigenständigkeit bewahrt, eine Abgrenzung aber ist nicht unbedingt von vorne herein gegeben, Verzahnungen sind vorhanden.

Jedes Thema benötigt sein individuelles Vorgehen. Alle Platten werden mit verschiedenen Werkzeugen behandelt, die thematischen Unterschiede werden dem Betrachter durch das verschiedenartige Behauen und Kratzen deutlich. Mal wird mit heftigen gestischen Schmissen gearbeitet, mal verweilt der Beitel feinfühlig in kleinsten Strukturen. Mal tanzt der Stichel gerade beim Zeichnen von größeren Zusammenhängen großzügig über die Druckplatte, mal bewegt er sich, bei den Untersuchungen zu Körperteilen beispielsweise, eher zaghaft über das Holz.

Während man seinen Zeichnungen vor allem mit dem Strich assoziiert, hört man hier, bei seinen sehr körperlichen Holzschnitten, fast die Geräusche der Sägen und der Beitel, hört das Kratzen und Splittern und Ritzen während ihrer Herstellung. Das Gewachsene des Holzes wurde zerstört, dem Material brachial Gewalt angetan. Und dachte man bei Haimos Hieronymus Malerei, nur mit allergrösster Anstrengung sei zu verhindern, daß der Blick abperlt, hat man nun den Eindruck, man bleibt hängen in den vehementen Schnitten, den rissigen Rändern und den Spalten.

Manche Platten werden verworfen, andere werden hingeworfen und bleiben liegen, zeigen ihre Kraft und werden zu einer Auflage gedruckt. Nach der Bearbeitung ist die Aussage so, daß der Betrachter etwas damit anfangen kann.

Haimo Hieronymus variiert nicht, er wiederholt. Sich, sein Thema, seinen Kunstgestus, seine Typen. Beim Künstlerbuch »Faszikel« versuchen seine Blicke oft Geringfügigkeiten und Nebensächliches zu erfassen, zu durchschauen. So wie auch die gesehenen Strukturen ihre Widerstände bieten, muß für ihn durch die Stahlnadel, die sich direkt in das Metall frisst, ein körperlicher Widerstand entstehen.Wichtig ist, daß das Beobachtete im Verhältnis zu dem, was an Gedanken, an Klischees und Vorwissen im Kopf ist, immer wieder in Konkurrenz und Widerstreit tritt.

Die in der Natur entstandenen Zeichnungen wurden im Atelier nicht weiter überarbeitet. Zwar wurden auf der Platte weitere Ätzungen durchgeführt, aber die Kaltnadel blieb, wie sie am Objekt entstanden war. Ein Teil der Kaltnadelzeichnungen entstand nicht direkt am Objekt. Haimo Hieronymus hat korrodierte Zinkplatten aus flach geklopften Dachrinnen verwendet, die ihre eigenen Strukturen, ihren warmen Plattenton mit einbringen konnten. Teilweise waren die Oxidationsschäden für die direkte Überarbeitung zu stark und wurden durch Schleifpasten und Dreikanntschaber nivelliert. Die Platten wurden daraufhin zum Teil mehrmals geätzt. Zu entscheiden, wann eine Platte für seine Zwecke zufriedenstellend erschien, hat er seinem Vertrauen in die Platte überlassen. Danach wurden die Platten gedruckt.

Das Buch wurde einfarbig mit Kupfertiefdruckfarbe auf Kupfertiefdruckbütten von Hahnemühle gedruckt. Die Farbe wurde mit etwas Leinöl geschmeidiger gemacht und zum Teil mit weiteren Pigmenten versetzt. Nach Druck der Seiten im Verbund zu einem Buchblock, wurden die Seiten zunächst mit Tusche und Feder nachbearbeitet, um bestimmte Kontrasteffekte zu erzielen. Weitere Arbeitsschritte ergaben sich durch den ergänzenden Einsatz von Holzextrakten und Schellack, welcher in je vier hauchdünnen Schichten, um die Flexibilität der Einzelseiten zu gewährleisten, aufgetragen wurde. So ergab sich letztlich ein Farbspiel im Orangebereich, kontrastiv zu den satten Tönen der Radierung und Tusche gesetzt. Die Bücher sind vernäht und gebunden worden. Die Umschlagarbeit ist ebenfalls eine nachträglich mit Holzextrakt und Schellack überarbeitete Radierung, diese mußte zum Binden weich gehalten werden, damit sie an den Kanten und Ecken umgeschlagen werden konnte.

Haimo Hieronymus begreift das Papier als Spannungsfeld polarer Gegensätze, die er souverän überblickt. Diese klare Sicht verdankt sich in hohem Masse seinen umfangreichen Kenntnissen der Literaturgeschichte. Seine Meisterschaft beruht auf seinen Kompositionen mit der einzigartigen Verbindung von Form und Farbe, bei der aber die Freiheit des Pinselstrichs, die Spontaneität des Eindruckes, kurz: die Impression, eine ungleich nachrangige Bedeutung hat. Er verzichtet auf Interpretationen von einzelnen Figuren, beruft sich vielmehr auf die Logik der Komposition und die innere visuelle Freiheit des Künstlers. Gerade in der Lebendigkeit des Farbauftrags, der zunehmenden Verselbstständigung des malerischen Pinselstrichs von seiner gegenstandsbezeichnenden Funktion erkennt man seine Handschrift. Haimo Hieronymus erreicht mit seiner Arbeitsweise, daß auf zahlreichen Zeichnungen nicht nur der visuelle Sinn des Betrachters angesprochen wird, sondern die Gesamtheit aller Sinneswahrnehmungen.

Matthias Hagedorn


Über Künstlerbücher unter: http://www.kultura-extra.de/literatur/li…onymus_2007.php

Zum Projekt »Unbehaust«: www.hoerspiel-labor.de
In der Bedeutung des Lehnworts aus dem Französischen, wo der "amateur d' art" den kenntnisreichen, enthusiastischen Liebhaber der Künste meint, bin ich ein Dilettant.

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Mittwoch, 16. Mai 2007, 07:09

komme zwar aus Emmerich, werde aber dennoch nicht ins Haus im Park gehen, trifft nun doch nicht so meinen Geschmack.
Das Haus im Park ist übrigens auch wirklich nicht groß, sprich eigentlich nur winzig. Kann also auch nicht all zu viel zu sehen sein.

Matze

Fortgeschrittener

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Mittwoch, 16. Mai 2007, 08:03

Das ist die Frage aller Fragen: Soll man Sorge tragen, dass man verstanden wird? Oder soll man darauf vertrauen, dass sich auch andere Menschen weiterbilden wollen?
In der Bedeutung des Lehnworts aus dem Französischen, wo der "amateur d' art" den kenntnisreichen, enthusiastischen Liebhaber der Künste meint, bin ich ein Dilettant.