Mittlerweile gibt es zahlreiche Bücher für Eltern, die ihre Kinder nicht loswerden, wie etwa Richard Melheims 101 Ways to Get Your Adult Children to Move Out (And Make Them Think It Was Their Idea). Und auch für die Eltern, die sich mit dem Problem arrangieren wollen, gibt es Titel wie All Grown Up: Living Happily With Your Adult Children.
Viele Autoren gehen davon aus, dass wir erst am Anfang einer neuen Entwicklung stehen. Als Grund für den Trend sehen sie häufig die steigende Scheidungs- und Trennungsrate. Andere Autoren vermuten, dass die größere Fürsorge moderner Eltern dafür verantwortlich ist, dass sich Kinder immer schwerer von ihnen lösen. Am häufigsten ist jedoch die Erklärung zu hören, die Bumerang-Kinder kehrten aus wirtschaftlichen Gründen nach Hause zurück. Dieser Ansatz geht davon aus, dass immer mehr junge Erwachsene sich einen eigenen Haushalt einfach nicht mehr leisten können.
Aber sind es tatsächlich wirtschaftliche Probleme, die diese Entwicklung ausgelöst haben? In Japan, wo der Trend am weitesten fortgeschritten ist, stellen Beobachter immer wieder fest, dass die 20- bis 34-jährigen Singles, die bei ihren Eltern wohnen, sehr wohlhabend sind. Den boomenden Absatz von Luxusgütern führt man dort wesentlich auf die steigende Anzahl zu Hause wohnender parasitärer Singles zurück, Leute wie die 26-jährige Miki Takasu, die einen BMW fährt und abwechselnd ihre Chanel- und die Gucci-Handtasche spazieren trägt. Selbstverständlich wohnt sie bei ihren Eltern.9
In den USA wird diese Zielgruppe besonders intensiv umworben, verfügt sie doch über ein hohes Einkommen, über das sie frei verfügen kann. "Die neue Generation derjenigen, die auch nach der Universität zu Hause wohnen bleiben, unbelastet von Mieten und anderen Lebenshaltungskosten, ist liquide, konsumfreudig und eine immer wichtiger werdende Käuferschicht", heißt es in einem Bericht.10 Und obwohl in Großbritannien die Immobilienpreise sehr gestiegen sind, geht es jungen britischen Erwachsenen heute besser als der Generation vor ihnen. Wirtschaftliche Probleme mögen der Grund dafür sein, dass einige Erwachsene zu Hause wohnen bleiben; der Trend in seiner ganzen Breite lässt sich damit nicht erklären.
Für gewöhnlich zogen junge Männer und Frauen nicht von zu Hause aus, weil ihr Leben dadurch billiger und simpler wurde, sondern weil sie unbedingt auf eigenen Beinen stehen wollten. Unabhängig und selbständig zu leben, das war vielen eine Zeit vergleichbar einfachen, anspruchslosen Lebens wert. Jennie Bristow bringt es auf den Punkt: "Entscheidend ist nicht, ob man es sich leisten kann, selbständig zu leben, entscheidend ist, ob man es will."11 So sind es heute weniger wirtschaftliche Gründe, die junge Erwachsene zurück zu den Eltern treiben, es ist ihre Unfähigkeit, in Beziehungen zu leben.
In den letzten Jahrzehnten scheinen die zwischenmenschlichen Beziehungen zunehmend komplizierter geworden zu sein. Mit Ehe und selbst Lebensgemeinschaft verbinden heute sehr viele vor allem die Begriffe "Krise" und "scheitern". Enge persönliche und erst recht intime Beziehungen werden deshalb häufig von Anfang an mit angezogener Handbremse angegangen: Wenn man nicht zu viel erwartet, nicht zu viel investiert, kann man auch nicht allzu viel verlieren.
Zwischenmenschliche Beziehungen werden heute als Risiken wahrgenommen und entsprechend mit einer Verbraucherschutzwarnung versehen. Die pragmatische Lösung lautet: "Erwarte nicht zu viel, und du wirst auch nicht allzu sehr verletzt werden." Die dadurch ausgelösten Bindungsängste haben dazu geführt, dass immer mehr Erwachsene feste Beziehungen immer weiter hinausschieben.
Im Vergleich zu diesen Unwägbarkeiten kann die Geborgenheit des Elternhauses sehr anziehend wirken. Der Antrieb junger Erwachsener, auf eigenen Beinen zu stehen, verringert sich dementsprechend. Nicht wenige junge Erwachsene schieben die Selbständigkeit immer weiter hinaus, da sie die damit verbundenen Risiken scheuen.
Aber nicht nur Erwachsenen, die bei ihren Eltern wohnen, geht es so. Sehr viele junge Erwachsene, die von zu Hause ausgezogen sind, vermehren die immer größere Gruppe der Singlehaushalte. Als Single zu leben ist für Millionen von Frauen und Männern zwischen 20 und 40 der Normalzustand.
Die Zunahme der Singles ist ein Phänomen in allen industriellen Staaten. 1950 lebten drei Prozent der Bevölkerung in Europa und Nordamerika allein. Seitdem ist die Zahl der Einpersonenhaushalte in den Industriestaaten ganz erheblich angestiegen. In Großbritannien leben heute sieben Millionen Menschen allein - dreimal so viel wie noch vor 40 Jahren. Schätzungen gehen davon aus, dass im Jahre 2020 40 Prozent aller Briten alleine leben werden.
In den USA sind Alleinlebende die am schnellsten wachsende Bevölkerungsgruppe. Zwischen 1970 und 2000 nahm die Zahl der Einpersonenhaushalte um neun Prozent zu. In Frankreich hat sich die Zahl der Einpersonenhaushalte seit 1968 mehr als verdoppelt. Beinahe 40 Prozent aller Schweden lebt allein. Besonders deutlich ist diese Entwicklung in den städtischen Ballungsräumen der Industriestaaten. Über 50 Prozent der Haushalte in München, Frankfurt und Paris bestehen aus nur einer Person.
"Viele sagen, die Schulzeit ist die beste Zeit unseres Lebens. Eben darum geht es bei SchoolDisco.com ..." Sehr wenige Schüler würden diesem Statement zustimmen. Dennoch scheint sich die Nostalgie für Kinderstreiche und Teeniegefummel sehr rasch unter Erwachsenen zu verbreiten. An britischen Universitäten veranstalten bereits Studienanfänger nostalgische Schuldiskos. Und nimmt man die Schulzeit tatsächlich als die beste Zeit im Leben wahr, will man von dem, was kommen wird, immer weniger wissen.
Die rückblickende Verklärung der Jugendzeit sagt weniger über die tatsächliche eigene Jugend, sie sagt mehr über die Ängste des Erwachsendaseins aus. Teenager selbst sind nur selten der Meinung, sie verbrächten gerade die herrlichste Phase ihres Lebens. Die Nostalgie für die Jugend wird ausgelöst durch die ungemütliche Gegenwart des Erwachsenenlebens. Entsprechend sucht sich die Popkultur ihre Vorbilder bei der Jugend.
Die Jugendzeit wird von den Medien ständig verklärt. In Ally McBeal verbinden sich Klassenzimmerräusche mit dem Kater des Erwachsenenlebens. Spätestens seit der Fernsehserie "Wunderbare Jahre" ist die Verklärung der Jugend das Hauptgeschäft von Fernsehserien geworden. Immer ist das Dasein der Erwachsenen im Hier und Jetzt schal und bedeutungsleer, während die Jugend wahre Würde kennt, Ernst, Heiterkeit und Lebendigkeit.
Die Nostalgie für die beste Zeit, die man hatte (und je haben wird), wird vom Fernsehen und Kino konsequent ausgeschlachtet. "Für alle älteren Zuschauer, die ihrem verruchten Schulhofimage nachtrauern, sind die intelligenten, aus der Masse herausstechenden Jugendlichen in Serien wie "Felicity", "My So-Called Life" und "Buffy" die Sehnsuchtsfolien ihres mittleren Alters: Einmal nur, gewappnet mit der ganzen mittlerweile gewonnenen Selbsterkenntnis, zurückgehen zu können in die eigene Jugend und jede Verletzung dort auszulöschen, jede Entscheidung zu berichtigen", so formuliert es die Journalistin Joyce Millman.12
So wie die Jugend im Fernsehen immer höher in den Himmel gehoben wird, gleiten die Erwachsenen immer mehr ins Fegefeuer. Im Fernsehen sieht man häufig gestörte, unreife Erwachsene, die sich bei Teenagern Rat holen, beispielsweise in "Dawson's Creek". In der amerikanischen "Drew Carey Show" sehen wir den Alltag von vier Erwachsenen, denen es nicht gelingt, erwachsen zu werden. In "Buffy" sind Erwachsene Unterdrücker, Hohlköpfe oder zu alt geratene Jugendliche. In vielen Sitcoms wie "Frasier", "Friends" und "Ellen" sieht man erwachsene Männer und Frauen beim Versuch, ihre Jugend immer weiter in die Länge zu ziehen.
In "Seinfeld" wurde in den Charakteren Jerry, George, Elaine und Kramer die Pathologie des Erwachsenendaseins drastisch vorgeführt. Wirrwarr, Sinnlosigkeit und Herumdümpeln zeichnen in "Seinfeld" das Leben der Erwachsenen aus. Den Figuren gefällt ihr kindisches Tun nur allzu gut, und regelmäßig versuchen sie, jeder Art von Verantwortung aus dem Wege zu gehen, die normalerweise Erwachsene auf sich nehmen müssen. In der Serie wird das Erwachsenwerden komplett verdammt, es hat nicht einen guten Zug.
Dieses Gefühl der Sinnlosigkeit und Verzweiflung kann erklären, warum es dem Kulturbetrieb heute kaum gelingt, eine Grenzlinie zwischen Kindern und Erwachsenen zu ziehen. Das Kindliche und das Kindische wird allein deswegen hochgehalten, weil uns das andere - erwachsen zu leben - allzu trübe und hoffnungslos scheint. Die Entwertung des Erwachsenseins folgt aus dem gebrochenen Verhältnis, das wir zu den Idealen haben, die mit dieser Stufe der Entwicklung einhergehen.
Reife, Verantwortung und Hingabe zählen heute wenig. Diese Ideale stehen in krassem Widerspruch zur tagtäglich erfahrenen Verunsicherung. Diese fortlaufende Entleerung dessen, was es bedeutet, erwachsen zu sein, gibt jungen Männern und Frauen wenig Anlass dazu, sich in diese Richtung weiterzuentwickeln.
Aus dem Englischen übersetzt von Bernd Herrmann.
Quelle: novo-magazin.de
Damals glaubte ich kein Wort von diesen Geschichten, aber jetzt bin ich nicht mehr so sicher.